The Q

The Championships, Wimbledon – das prestigeträchtigste Tennisturnier der Welt. Soviel Tradition geballt an einem Ort. Hier spielen Gentlemen und Ladies. Es gibt einen strikt-weißen Dresscode für die Spieler. Erdbeeren mit Sahne, jedes Jahr werden über 30 Tonnen Erdbeeren und 10000 Liter Sahne verzerrt. Es gibt, abgesehen von Rolex, seit jeher keine Werbung rund um die Courts. Und es gibt die berühmteste Schlange der Welt:
Das Ticketsystem im All England Champions Club ist etwas eigen. Der Vorverkauf ist, so wie ich das verstanden habe, nur in UK zugänglich. Man bewirbt sich um Tickets und dann wird gelost. Die Chancen sollen wohl bei ca. 20% liegen. Man bekommt dann einen zufälligen Platz zugeordnet. Für jeden Spieltag werden allerdings je 500 Tickets für den Centre Court, Court No. 1, und Court No. 2 zurückgehalten. Diese Tickets gehen am Morgen des Spieltags in den freien Verkauf. Dementsprechend lang ist die Warteschlange, The Queue. Wer ein Ticket will muss früh kommen – sehr früh. Und je später im Turnierverlauf, desto länger die Schlange. Ich wollte den Manic Monday sehen, eine weitere Wimbledon-Tradition. Am zweiten Turnier-Montag werden alle Achtelfinals der Gentlemen und Ladies ausgespielt. Hier hat man also eine sehr realistische Chance, die Größen des Sports live zu sehen – sofern sie noch im Turnier sind. Das Problem am Manic Monday ist, dass es traditionell der Tag mit dem meisten Andrang an der Queue ist. Der Plan, am Sonntag Nachmittag anzukommen um in der Schlange zu übernachten hat sich nach kurzer Internet-Recherche als nicht gut genug erwiesen. Im Internet findet man Statistiken der letzten Jahre. Und die waren eindeutig. Wenn man am Samstag(!) gegen mittags aufkreuzt, ist man mit Mühe und Not noch unter den ersten 500. Sehr riskant, wenn man auf den Centre Court will. Die Planänderung: von Freitag auf Samstag in der Nacht landen, um 2:30 Uhr im AirBnB (das beim neuen Plan übrigens völlig für die Katz ist) einchecken, zwei Bier trinken, und dann um 05:00 Uhr früh los zum Wimbledon Park. Noch vor 06:00 Uhr (Samstag früh wohlgemerkt!) in der Schlange sein und hoffen, dass es reicht. Und dann Zelt aufbauen und Warten. Über 50 Stunden lang. Das Zelt-Areal darf in der Zeit höchstens für eine Stunde verlassen werden, sonst wird das Zelt weggeräumt.
Gesagt, getan. Warteschlangenplatz 271. Das reicht locker für den Centre Court. Die letzte Hürde: die beiden Spieler, die ich sehen wollte, Roger Federer und Rafael Nadal, mussten sich am Samstag Nachmittag noch für das Achtelfinale am Montag qualifizieren. Taten sie ohne Probleme. Und sie wurden beide für den Centre Court am Montag eingeteilt. Eine weitere Besonderheit der Schlange ist, dass die besten Tickets für die tapferen Menschen aufgehoben werden, die in der Schlange ausharren. Gegengerade, 1. Reihe, direkt hinter dem Pressegraben. Alles perfekt gelaufen also. Ab hier kürze ich etwas ab: die Stimmung am Montag auf der Anlage und im Stadion war gigantisch. Ein paar Bilder meines ersten Ausflugs in die Sportfotografie gibt es hier.

Hier geht es aber eigentlich um die Schlange. Und die Stimmung in den 50 Stunden Warten war ebenfalls herausragend. Friedlich, zivilisiert, gemütlich. Bier, Plauschen mit den Zeltnachbarn, Kicken, Bier, ein bisschen Tennis spielen, Bier. Keine Termine und leicht einen Sitzen par excellence sozusagen. Und das alles bei absolut England-untypischem Wetter – 25 Grad und strahlender Sonnenschein. Irgendwie mag diese Festival-Atmosphäre so gar nicht zum Upper Class Image von Wimbledon passen. Jedes Jahr wird unter den Queuern ein Kleinfeld-Tennisturnier ausgetragen. Und auch wenn das Spielniveau natürlich unterste Schublade ist und erst recht nicht zum Upper Class Image von Wimbledon passt: die Emotionen, das Herzblut und die Liebe zum Sport sind hier in der Queue und bei diesem Kleinfeld-Turnier so deutlich zu spüren wie sonst nur, wenn Roger Federer den Centre Court betritt und das ganze Stadion steht:


Queuers Tournament Wimbledon

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